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#1
Es war das zweite Mal, dass sich Pandora nach oben wagte und doch war die Stadt noch genauso verstörend wie am vorherigen Tag. Dabei war es noch nicht einmal die beklemmend hektische und seltsam aggressive Atmosphäre, welche Pandora zusetzte. Diese kannte sie schließlich aus der Zeit, als sie selbst die Schatten frei gelassen hatte. Es war die Tatsache, dass so viele Menschen so dicht aufeinander wohnten – und das dabei niemand dem Anderen zu trauen schien. So man seinen Mitmenschen überhaupt einen Blick gönnte. Es war ihr echt noch nie passiert, dass ihrem Blick so lange so konsequent ausgewichen wurde wie jetzt. Eigentlich sollte sie das wohl freuen, lief sie auf diese Art doch wenigstens nicht Gefahr, aus Versehen jemanden zu bezirzen... und doch fehlten ihr die Blicke.

Dabei war es genau dieser Mangel an Blicken, der sie eine ganze Weile einfach unbemerkt im Strom schwimmen ließ. Sie aus der U-Bahn auf die Straße und diese entlang schwemmte, bevor sich auch nur der erste an ihrem derangierten Äußeren zu stören begann. Denn sie war noch immer nicht dazu gekommen, sonderlich etwas an ihrer Erscheinung zu ändern. Abgesehen von einer eher dürftigen Reinigung, die kaum gereicht hatte, um das leuchtende Rot ihrer Haare oder den rosigen Teint ihrer Haut wiederzubeleben. Von dem zerschlissenen Zustand ihrer nun einmal wortwörtlich antiken Tunika mal ganz abgesehen, dessen ausgefranster Saum ihre Knie umspielte. Das einzig frische an ihr waren wohl die Blüten, die noch immer betörend duftend und vermeintlich frisch gepflückt in ihre Locken eingearbeitet waren. 

Pandora selber störte sich nicht daran, dass sie, barfuß und verwahrlost wie sie war, wenig ins Stadtbild passte. Was aber schlicht und ergreifend daran lag, dass sie einfach vergaß, dass sie anders war, sobald sie aus dem hektisch dahin fließenden Strom von Menschen trat und sich lieber daran machte, sich mit dieser neuen Welt vertraut zu machen. Denn ihr war bewusst, dass sie erst das erreichen musste, bevor sie gezielt nach der Büchse suchen könnte. Sie musste lernen, unsichtbar zu sein. Was hieß, sie müsste lernen sich anzupassen. Also lief sie durch die Straßen, lauschte auf die fremde Sprache, las die fremde Schrift und versuchte, Laut und Zeichen in Einklang zu bringen, den Sinn hinter beidem zu verstehen. Nebenbei saugte sie förmlich jedes neue Bild, jeden neuen Eindruck in sich auf, welches diese unglaubliche Welt ihr hinter den unzähligen durchsichtigen Scheiben, Glasscheiben wie sie inzwischen wusste, offenbarte. 

Sie stand eben wieder vor einer dieser Scheiben und musterte etwas, was sie für... Damenwäsche hielt. Wobei sie sich da nicht so sicher war. Zwar deuteten die kopflosen Puppen eine weibliche Figur an, diese war jedoch so dünn und kränklich, dass Pandora sich fragte, welcher Mann auf so einen Ernährungszustand bei seiner Frau stolz sein sollte. Das allein war es aber nicht, was sie nachdenklich sinnend den Kopf schief legen ließ. Es war der Fakt, dass diese dürren Körper von so wenig Stoff verhüllt wurden, dass sie noch nicht einmal erahnte, wie der wärmen sollte. Es musste wohl wirklich ein Geheimnis dieser.... Victoria sein, was sie mit diesen Bekleidungsstücken bezwecken wollte. 

Offensichtlich blieb sie über diese Frage zu lange vor dem Fenster stehen. Zwar hatte sie durchaus bemerkt, wie eine der Bediensteten des Geschäfts ihr zugewunken hatte, aber nachdem sie zurück gewunken hatte, hatte sich diese einem dieser kleinen Geräte zugewandt, die hier scheinbar fast jeder zu gerne ans Ohr hielt. Warum auch immer. Wie sollte sie auch ahnen, dass die beiden Uniformträger, die sich nun zu ihr gesellten, von eben dieser modisch gekleideten Blondine herbestellt worden waren. So zuckte sie nur leicht zusammen, als der ältere von beiden sie in dieser fremden Sprache anredete und dabei auffordernd von der Scheibe weg deutete. Irritiert blinzelte Pandora, folgte seinem Wink aber mit dem Blick, der in Richtung einer dieser lauten Metallwagen ging. Oh nein, in so einen würde sie so schnell sicher nicht einsteigen. Also straffte sie sich entschlossen, schüttelte freundlich den Kopf und lief einfach weiter. 

Nur dass sich ihr da der jüngere Mann in den Weg stellte. Die beiden waren so etwas wie Wachen. So viel hatte sie dann auch schon mitgekriegt. Immerhin waren diese Anzüge recht... eigen. Die Frage war wohl nur, was sie jetzt falsch gemacht hatte. Einen freundlichen, aber nicht zu freundlichen Ausdruck auf ihr Gesicht zaubernd sah sie zu dem Polizisten auf. „Ich brauche keine Hilfe, danke.“, informierte sie diesen, ebenso wie seinen Partner in ihrer Muttersprache Altgriechisch. „Und falls ich etwas gegen Eure Regeln getan habe, bitte ich dies zu verzeihen.“ Zwar ahnte sie, dass beide Männer den Sinn ihrer Worte nicht verstanden, doch sie hatte recht schnell erkannt, dass die samtige, leicht rauchige Tonlage ihrer Stimme trotzdem wirkte. Meistens jedenfalls. Bei diesen beiden Exemplaren schien sie jedenfalls Glück zu haben. Innerhalb kürzester Zeit schienen sie mehr bemüht, ihr den Weg, wohin auch immer zu erklären, als sie weiter in ihr unheimliches Gefährt locken zu wollen. Zufrieden trennte sich Pandora von den Männern, indem sie ihnen fröhlich zuwinkte und drehte sich dann um. Genau vor einer Tür, aus der verführerische Essensgerüche wehten.
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#2
Gedankenverloren strich er mit den Fingern über die Stoffserviette und blickte durch sein Gegenüber hindurch, welches so gar nicht aufhören wollte zu reden. Eigentlich hätte er wohl zuhören sollen, doch Ryan interessierte sich nun mal nicht für die Aktien des Unternehmens seines Vaters. Eine Hotelkette, die er früher oder später übernehmen sollte. Der Mitdreißiger liebte das Geld, das ihm zur Verfügung stand. Er liebte auch die Möglichkeiten, die er dadurch hatte. Seine Frauengeschichten, die er in den Hotels weltweit haben konnte. Aber eines liebte er ganz sicher nicht: sich mit dem geschäftlichen auseinanderzusetzen, das war dann doch eher zermürbend für ihn. Was interessierte es ihn, dass die Umsatzahlen gerade um ein paar Prozent sanken, wenn sie doch nächsten Monate wieder nach oben klettern würden. So war es immer gewesen, und so würde es auch wieder sein, dessen war sich Ryan sicher. Sein Vater allerdings schien jedes Mal vor einem Herzinfarkt zu stehen, wenn die Kurve auch nur ein bisschen abflachte.

Doch auch wenn es ihn kein Stück interessierte, was sein Vater von sich gab, konnte er nicht einfach aufstehen und gehen. Er würde das Gespräch über sich ergehen lassen. Ryan musste nur an den richtigen Stellen nicken, schockiert wirken oder den Kopf schütteln. Immerhin war das sein Erfolgskonzept, wenn es darum ging seinen Vater zufrieden zu stellen. Bloß keine Widerworte geben, dass war seine Devise, seit klein auf hatte er gelernt, dass er damit bei seinem Vater am besten fuhr. So hatte er schließlich all das bekommen, was er heute sein eigen nannte, ohne je groß etwas dafür gemacht zu haben, außer ein folgsamer Sohn zu sein.

Nur dieses Mal ging sein Spiel nicht auf.
„Hörst du mir überhaupt zu?!“, empörte sich der Ältere und hob dabei etwas bedrohlich seine Gabel, auf der das letzte Stück seines Steaks seit zehn Minuten aufgespießt war. „Es reicht nicht mehr aus, mir die ganze Arbeit zu überlassen. Du musst endlich lernen Verantwortung für deine Aufgaben übernehmen.“
Ryan hob langsam seinen Kopf.
„Sicher“, gab er knapp zurück, „Ich kümmere mich morgen darum.“
Doch sein Vater ließ sich nicht so leicht abspeisen. Erneut begann er zu schimpfen, regte sich nur diesemal statt über fallende Aktienkurse über seinen unzuverlässigen Sohn auf. Die Adern auf seinem Kopf schienen fast zu zerbersten.
„Ich habe doch gesagt ich kümmere mich.“
Dieses Mal versuchte er seiner Aussage Nachdruck zu verleihen.
„Und jetzt iss dein verdammtes Steak auf, sonst sitzen wir noch drei Jahre hier. Ich habe heute noch etwas vor..“
„Du hast also etwas vor? So, so“, entgegnete sein Vater spöttisch und etwas drohendes schwang in seiner Stimme mit, „Ich hoffe es geht dabei nicht um irgendwelche Damen, die du in eines MEINER Hotels ausführen willst? Damit ist jetzt nämlich Schluss, Ryan. Solange du nicht so für mich arbeitest, wie du es sollst, setzt du keinen Fuß mehr in meine Hotels.“
Der jüngere sah seinen Vater perplex an. Er hatte ihm schon früher ähnliche Dinge angedroht, aber irgendwie klang er dieses Mal viel ernstzunehmender dabei.

„Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen“, erwiderte Ryan trotzig, „Das führt hier zu nichts, außer deinem Herzinfarkt.“
Er strich sich über den Dreitagebart in seinem Gesicht.
„Ich habe gesagt, ich kümmere mich morgen, meinetwegen auch gleich in der Früh.“
Ryan wollte keinen unnötig langen Streit vom Zaun brechen, dass würde ihn wohl nur den letzten übrig gebliebenen Nerv rauben. Natürlich hatte er eine Verabredung, wie fast jede Nacht wartete eine andere hübsche Dame auf ihn in seinem Hotelzimmer. Doch das hatte heute noch ein wenig Zeit. Vielleicht würde er auch, um seinen Vater zu besänftigen bei ihr nächtigen. Schließlich würde der Ältere sofort erfahren, wenn Ryan gegen seine Anweisung verstieß, wenn er es darauf angelegt hatte, ihn ein wenig zu quälen.
„Du zahlst, oder?“
Ohne die Antwort seines Vater abzuwarten, stand der Dunkelhaarige auf.
„Danke. Wir sprechen uns dann nächste Woche wieder.“
Ryan verließ den Tisch, ohne auf eines der wütende Worte zu reagieren, die ihm sein Vater hinterher rief. Sollten sie ihn doch auch aus dem Restaurant werfen, es war nicht Ryans Problem. Er hatte sich darum zu kümmern, wie er sein Spaßlevel heute wieder auf einen Höhepunkt treiben konnte.

Als hätte das Schicksal sein inneres Flehen, nach Ablenkung und Spaß, gehört, prallte er mit jemandem zusammen. Nicht nur irgendjemandem, sondern einer durchaus attraktiven jungen Frau mit roten Haaren, die etwas mystisches ausstrahlte.
„Verzeihung, ich wollte Sie nicht umrennen“, entschuldigte er sich rasch.
Es war schon erstaunlich, wie schnell er seine gerade noch genervt klingende Stimmlage zu einem freundlichen Säuseln verwandeln konnte. Kein Wunder, für schöne Frauen hatte er einfach ein Händchen. Und diese hier hatte eine Ausstrahlung, die ihn geradewegs um den Finger wickelte.
Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?“
Sie schien etwas verwirrt zu sein, wirkte fast ein wenig weltfremd in ihrer zerschlissenen Tunkia mit den frischen Blumen im roten Haar.
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